Historisches Fechten – Einfach nur Schwertkampf?

Die Dimicator Schola ist eine Schule für Historisches Fechten, die sich vor allem auf das älteste erhaltene Fechtbuch stützt. Es wird heute in den Royal Armouries in Leeds aufbewahrt wird, ist aber ursprünglich um 1330 im Raum des heutigen Thüringen und Nordbayern entstanden. Aus dieser Zeit stammen die Miniaturen des Manuskripts, wenig später wurden die erklärenden Texte in Latein mit deutschen Fachbegriffen hinzugefügt. Das Manuskript nennen wir, da es keinen bekannten Titel hat, hauptsächlich bei seiner früheren Bibliothekssignatur MS [für Manuskript] I.33, also „eins-dreiunddreißig“. Doch was kann so ein Buch über das Fechten im Mittelalter sagen, und ist „fechten“ ohnehin nicht nur das, was man heute bei den Olympischen Spielen macht? Tatsächlich bedeutet das Wort in den deutschen Quellen des Spätmittelalters ganz klar „kämpfen“ (vgl. das englische „to fight“).
Das Manuskript Royal Armouries Fecht1 (früher MS I.33) bei einer Untersuchung der verwendeten Tintensorten und Farben, um Informationen über den Entstehungsprozess zu gewinnen.
Bucklerfechter
Bucklerfechter am unteren Seitenrand einer franko-flämischen Bibelhandschrift aus dem späten 13. Jahrhundert (Lausanne, Bibliothèque cantonale et universitaire - Lausanne, U 964, f. 350v – Biblia Porta)
Historisches Fechten ist aber kein einfaches Synonym für Schwertkampf. Nicht nur, dass auch Disziplinen wie mittelalterliches Ringen oder Dolchkampf, Rapierfechten in Renaissance und Barock (wie es Alexandre Dumas‘ Drei Musketiere beherrscht haben könnten) oder Säbelfechten wie zur Zeit Napoleons darunterfallen – das Hauptkriterium ist die Vorgehensweise: Historische Fechter müssen auf geradezu wissenschaftliche Weise Texte und Abbildungen der Fechtbücher und ähnlicher Quellen interpretieren. Wie sind bestimmte Fachbegriffe zu verstehen? Nutzen die Abbildungen ungewöhnliche Darstellungsweisen? Welche Form von Fechten – z. B. sportlich oder todernst – ist in einem konkreten Buch überhaupt dargestellt? 
 
Um noch mehr Informationen zu gewinnen, untersuchen wir auch historische Waffen sowie andere materielle Kultur (z. B. Kleidung und Schuhe), um davon Rückschlüsse über ihre Verwendung zu ziehen. Weiterhin müssen wir uns damit befassen, wie sich der menschliche Körper möglichst effektiv und gesund nutzen lässt, um z. B. viel Wirkung aus möglichst wenig Muskelanstrengung herauszuholen. Schließlich schauen wir auch auf andere Kampfkünste und -sportarten, denn viele ihrer Prinzipien sind ähnlich oder identisch. Ein solches Prinzip wäre beispielsweise, dass der Kampf so schnell wie möglich kontrolliert werden muss und dem Gegner kaum Optionen zur Gegenwehr bleiben dürfen.
Die Auswertung all dieser Informationen bildet die Grundlage unseres Verständnisses historischer Kampfkünste. Das Fechten, das wir in der Dimicator Schola trainieren, kann also beständig verfeinert und verbessert werden, sobald wir uns neue Erkenntnisse erarbeitet haben.
Untersuchung der Balance und Handlichkeit eines Rapiers aus dem Magazin des Lübecker St.-Annen-Museums. Foto: R. Warzecha.